“Sex. Jüdische Positionen” - Eine Ausstellung zwischen Perspektiven und Gegensätzen

KULTURELLES

Orthodox und liberal. Zeit­genös­sische Kunst, moderne Medien und tradi­tio­nelle Arte­fakte. Pflicht und Vergnügen. Kontrolle und Begehren. Sexualität und Macht. Erotik und das Göttliche. In fast gegensätzlichen, scheinbar kaum zu vereinbarenden Widersprüchen präsentiert die Ausstellung „Sex. Jüdische Positionen“ nicht nur die Aspekte der Sexualität im Judentum. Es ist den Austellungsmacher*innen auch gelungen, das breite Spektrum jüdischer Standpunkte und Perspektiven - von der zentralen Bedeutung von Ehe und Zeugung über Begehren, Spiritualität und Tabus bis hin zur Erotik und der Infragestellung sozialer Normen - greifbar und verstehbar zu machen.

Da das Thema Sexualität seit Jahren zu meinen wissenschaftlichen Steckenpferden gehört, war ich mehr als gespannt auf die Ausstellung und habe die Einladung vom Hirmer Verlag GmbH, die Ausstellung in Berlin zu besuchen, sehr gerne angenommen.

 

Sexualität im Judentum ist starr? Von wegen!

Und was soll ich sagen; die Ausstellung hat mich wirklich begeistert. Angefangen mit der beeindruckenden visuellen Gestaltung und den Kunstwerken und Artefakten. Aber nicht nur das, Ich bin beeindruckt, wie viele vollkommen verschiedenen Perspektiven zum Thema die Ausstellung nicht nur in Texten und Bildern, sondern auch in audiovisuellen Elementen präsentiert.

Genau das ist mir immer wichtig; sich mit verschiedenen Meinungen auseinandersetzen und mit Klischees aufzuräumen. Menschen dazu anregen, alles, was sie glauben zu wissen über Bord zu werfen und mit einem neuen, unverstellten Blick auf die Dinge zuzugehen. Und das passiert im Jüdischen Museum Berlin.

Das sieht Museumsdirektorin Hetty Berg offenbar genauso: „Für Sexualität gilt, wie für jedes andere Thema der jüdischen Tradition, dass die religiösen Gesetze nicht starr sind, sondern durch Auslegungen, durch Diskussionen und Impulse an aktuelle Lebensrealitäten und veränderte gesellschaftliche Strukturen angepasst werden.“ Dieser Gedanke zieht sich durch die ganze Ausstellung. Immer wieder wird deutlich, wie wichtig Diskussionen sind und dass religiöser Gesetze und Vorgaben an aktuelle Lebensrealitäten angepasst werden müssen. Und noch etwas: Die Ausstellung verdeutlicht, dass Sexualität ein gesamtgesellschaftlich relevantes Thema ist, das immer wieder neu hinterfragt werden muss - und wird.


All diese Gedanken werden den Besucherinnen und Besuchern aber nicht in belehrendem Ton vermittelt, sondern lebendig, offen und humorvoll. Für mich auf jeden Fall ein toller Weg, niedrigschwellig einen Zugang zu einem Thema zu schaffen, das oft noch immer stark tabuisiert wird.

 

Schabbat, Sonnenlicht und Sex

Diese drei sind laut Talmut, genauer Berachot 57b, etwas Positives, sogar Heiliges. Ich muss zugeben, über viele Aspekte des streng religiösen jüdischen Lebens habe ich noch nie nachgedacht. Ich weiß, die Tora gibt Jüdinnen und Juden 613 Gebote und Verbote für alle Fragen des Lebens vor.

Da liegt es nahe, dass es auch Regularien für die Sexualität gibt. Aber im Detail war vieles, was ich in der Ausstellung erfahren habe, neu für mich.

Ich hatte mir beispielsweise vorher keine Gedanken zum Thema Reinheit und Menstruation gemacht und was es für Frauen bedeutet, nach den Vorgaben der Tora zu leben: Jüdinnen sind sowohl während ihrer Menstruation als auch die sieben Tage danach nicht tahor, also rituell rein. Während dieser ist Sex nicht erlaubt - Ehepartner dürfen sich nur wie Freunde begegnen, aber nicht wie Liebende. Wenn man da kurz nach rechnet, stellt man fest, das sind insgesamt fast zwei Wochen.

Neugierig?

Mein Fazit: Egal, ob man sich schon intensiver mit dem Judentum oder dem Thema Sexualität beschäftigt hat oder eben nicht, die Ausstellung ist auf jeden Fall einen Besuch wert!

„Sex. Jüdische Positionen“ ist seit dem 17. Mai und noch bis zum 06. Oktober 2024 täglich von 10:00-18:00 Uhr im Jüdischen Museum Berlin zu sehen.
Die Ausstellung, die übrigens in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Kulturviertel in Amsterdam entstanden ist, präsentiert rund 140 Kunstwerke, darunter Skulpturen, Gemälde, Fotografien und historische Dokumente von 50 Künstlerinnen und Künstlern. Diese Leihgaben stammen aus öffentlichen, aber auch privaten Sammlungen in Israel, Europa und Nordamerika.

Wer es nicht nach Berlin schafft oder sich noch weiter informieren möchte, dem kann ich den Ausstellungsband vom Hirmer Verlag ans Herz legen!

 

 

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