Zwischen Tüll und Tränen oder warum ist ein Brautkleid weiß?

KULTURELLES

Zwischen Tüll und Tränen oder warum ist ein Brautkleid weiß?

Wer in den letzten drei Jahren werktags zwischen 17 und 18 Uhr durch die Programme seines Fernsehers geschalten hat, ist vermutlich mindestens einmal an einem Berg weißer Kleider hängen geblieben.

In besagtem Format des Senders Vox verkaufen sehr motivierte Brautausstatter und ihre Mitarbeiter täglich genau das Kleid, von dem Frau schon immer geträumt zu haben scheint und mit dem sie zum Altar schreiten wird.

Die Stile sind dabei ebenso vielfältig, wie die Wünsche der Bräute. Mal soll es eng anliegen und durch schlichte Eleganz glänzen, eine andere Braut möchte einen Traum aus Tüll und Glitzer im Empire-Stil a la Sissi.

 

Aber egal ob Meerjungfrau, Fit and Flare oder die klassische A-Linie, ein Punkt ist dabei nicht verhandelbar: die Farbe.

Hier zeigt sich die symbolische Ebene, die dem Kauf des Brautkleides zugrunde liegt und die auch andere Ritualen der Hochzeit auszeichnet. Die Farbe Weiß für das Brautkleid oder maximal Abstufungen derselben sind für die allermeisten Bräute konstitutiv. Dabei reicht diese Tradition gar nicht so weit in die Historie zurück.

Ganz grundlegend mag der ein oder andere direkt hier einwenden, dass doch inzwischen auch Kleider in Champagner oder Rosé schwer en vogue sind. Immer mehr Bräute entscheiden sich bezüglich ihres Kleides gegen rein-weiß und stattdessen für eine Abstufung der Farbe. Auswahl gibt es dabei beginnend bei dem eben erwähntem Champagner über Eierschale bis hin zu einer Art Beige-Ton reichlich. Allerdings muss man sich vor Augen halten, dass zwischen einer sehr leichten Rosa- oder Beige-Färbung und einem satten Rubinrot, Himmelblau oder gar Schwarz Welten liegen. Auch das mag es geben. Frauen, die in leuchtenden Farben und Kleidern zum Altar oder, aktuell besser gesagt, zum Gelübde schreiten. Aber allein ein Blick auf die einschlägigen Portale, wie Blogs, Pinterest oder Accounts von Hochzeitsfotografen zeigt, dass der Großteil der weiblichen und westlichen Bevölkerung nach wie vor in Weiß heiratet. Auch ein Verweilen bei Sendungen wie „Zwischen Tüll und Tränen“ auf VOX stellt klar: nicht nur Frau wünscht sich ein weißes Kleid, auch die gesamte Branche rund um Brautkleider ist auf den Traum in Weiß eingestellt.

 

Der Farbe Weiß wird, wie allen Farben im Farbspektrum, eine symbolische Bedeutung zugeschrieben - Reinheit und Unschuld sind die zentralen Empfindungen.

Im kirchlichen Kontext wird damit auch Heiligkeit und Erlösung symbolisiert. Eine Deutungsebene, die seit der Mitte des 16. Jahrhunderts die Menschen prägt. Ist das doch der Zeitpunkt, ab dem die Ehe laut der christlichen Kirche als heiliges Sakrament anerkannt werden muss. Damit einhergehend rückt die sexuelle Unberührtheit der Frau weiter in den Fokus. Ein Fakt, den auch im 21. Jahrhundert noch viele Menschen mit der Farbwahl assoziieren. Paradox aber, wenn man bedenkt, dass sich im Jahr 2019 immer mehr Ehepaare gegen eine kirchliche Trauung aussprechen und die Unberührtheit der Braut kaum mehr eine Rolle spielt - diverse Strömungen einmal ausgenommen.

Als Vorzeige-Brautpaar, wenn es um den Beginn des weißen Brautkleidtrends geht, werden gemeinhin Queen Victoria und Prinz Albert von Sachsen-Gotha angeführt. Die beiden heirateten 1840 und Bilder zeigen die Braut in weißer Seide und Spitze mit Blumenapplikationen und kurzem Schleier. Dabei sind die historischen Anfänge des weißen Kleides streng genommen um ein Vielfaches früher zu finden.

 

Maria de Medici heiratete den französischen König Heinrich IV. im Jahr 1600 bereits in einem eierschalenfarbenen Brautkleid mit Goldapplikationen.

Die beiden Prinzessinnen Elizabeth Stuart und Maria Stuart folgten 1613 und 1641 ebenfalls in hellen silberverzierten Kleidern. Seit Mitte des 17. Jahrhunderts ist ein helles bzw. weißes Kleid daher Referenz für eine Prinzessinnen-Hochzeit und symbolisiert Jungfräulichkeit, Unsterblichkeit und Unschuld.

Der Rest des Adels und die einfachere Bevölkerung stimmten im Mittelalter zwar damit überein, dass das Hochzeitskleid als Statussymbol ein möglichst festliches Kleid sein musste. In der Umsetzung unterschieden sie sich aber bisweilen sehr voneinander. Die Bräute ärmerer Schichten heirateten im Mittelalter oft in ihrem schwarzen Sonntagskleid. Im 15. und 16. Jahrhundert in Adelskreisen gerne in kräftigen Farben geheiratet.

 

Je nach Macht und Ansehen fanden sich beim Adel rote, blaue und grüne Brautkleider aus luxuriösen Stoffen und mit möglichst viel Gold und Silber.

Aber auch der komplette Kontrast in Form eines schwarzen Kleides wurde gesellschaftlich akzeptiert und nicht nur von der Unterschicht getragen. Ganz Europa findet sich von Spanien aus kommend im Schwarz-Fieber. Damit sollte an das streng katholische spanische Hofzeremoniell erinnert werden und die besondere Frömmigkeit der Trägerin im Mittelpunkt stehen. Aus heutiger Sicht erscheint dies ungewöhnlich, da für uns schwarze Kleidung vor allem mit Trauerereignissen identifiziert wird. Dabei hatte ein schwarzes Kleid einen entscheidenden Vorteil gegenüber einem weißen oder bunten. Schwarz war um ein vielfaches praktischer, da es einfacher zu reinigen war und Frau sich damals nicht unbedingt ein eigenes Kleid allein für die Hochzeit leisten konnte. Oftmals war das Hochzeitskleid gleichzeitig das Sonntagskleid.

Bis ins 20. Jahrhundert hält sich das schwarze Kleid vor allem in ländlichen Gebieten. Wer in den eigenen Familienalben stöbert, findet vermutlich das ein oder andere Beweisfoto. Meine Urgroßmutter beispielsweise heiratete in einem schwarzen Kleid mit weißem Schleier. Denn trotz des schwarzen Kleides galt Weiß auch damals als Farbe der Unschuld und Unberührtheit. Neben der üblichen schwarzen Hochzeitstracht war es Frauen, die zum zweiten Mal heirateten oder schon Kinder hatten selbst dann verboten ein weißes Kleid zu tragen, wenn sie es sich leisten konnten.

 

Die Vorstellung von einem klassischen Brautkleid bleibt: ein langes und hochgeschlossenes Kleid, das immer auch die typische Mode seiner Zeit widerspiegelt.

Erst im 20. Jahrhundert ändert sich auch an dieser allgemein gültigen Vorstellung vom Kleid etwas. Einhergehend mit der immer weiter verbreiteten Popularität und Erschwinglichkeit des weißen Brautkleides ändern sich auch Länge und Schnitt der Kleider. Während der 60er und 70er Jahre waren beispielsweise kurze und eher schlichtere Brautkleider in Mode, wie ein Blick in diverse Fotoalben und Magazine zeigt. Lady Diana wirft diesen Trend 1981 mit ihrem überbordenden Traum in Weiß wieder um. Die 80er Jahre sind geprägt von märchenhaften und ausladenden Kleidern ganz im Sinne einer Prinzessinnenhochzeit.

 

Ist also der Wunsch nach einem weißen Brautkleid gleichzeitig Ausdruck der finanziellen Unabhängigkeit und der geheimen Sehnsucht, einmal im Leben Prinzessin zu sein?

Beim Brautkleid gehen nur sehr wenige Frauen den Second-Hand Weg, sondern sind vielmehr bereit Unsummen dafür auszugeben. Das zeigt ein weiterer Blick in die diversen TV-Formate, die sich mit dem Brautkleidkauf beschäftigen. Als Braut ist man scheinbar schnell bereit, auch noch ein- oder zweihundert Euro über dem Budget einzukaufen, nur um sich den persönlichen Traum vom weißen Kleid zu erfüllen. Selbst Frauen, die privat selten Kleider tragen, entscheiden sich am Schluss dafür. Warum? Diese Frage lässt sich mit Blick auf die Historie und die Hochzeitsindustrie auf mehrere Arten beantworten.

Zum einen scheint sich aus der zuerst unerreichbaren Farbe Weiß, wie sie von Prinzessinnen und dem Adel gerne getragen wurde, ein Prestige-Denken entwickelt zu haben, das tief in den gesellschaftlichen Strukturen verwurzelt ist und bis heute nachwirkt. Der Gedanke, Prinzessin zu sein, hatte historisch gesehen noch eine viel tiefergehende Ebene, als wir sie heute empfinden. Bedeutet dieser Wunsch für uns oft einfach nur mehr Pomp und Aufregung als im Alltag, war er damals ein Ausweg aus Armut und eine Überhöhung der eigenen Person über festgefahrene Standesgrenzen. Der Wunsch nach einem besseren Leben also. Auch der finanzielle Aspekt ist nicht zu verachten und deutet in dieselbe Richtung. Wer sich ein weißes Kleid leisten konnte, gehörte zur Klasse der Gutverdiener. Ein weißes Kleid ist sozusagen Ausdruck eines bequemen Lebens ohne größeren Verzicht oder Mangel. Ein Sehnen, das sowohl die Menschen im Mittelalter, als auch uns im 21. Jahrhundert motiviert. Die symbolische Bedeutung der Farbe Weiß als Reinheit und Unberührtheit ist historisch gesehen zwar eine passende Zugabe, aber nicht alleiniger Auslöser für das Aufkommen der Farbwahl bei Hochzeitskleidern. Das zeigt allein die europaweite Phase der schwarzen Hochzeitskleider als Ausdruck von Frömmigkeit. Zum Schluss trägt allerdings auch noch die heutige Hochzeitsmaschinerie zur Aufrechterhaltung dieses Umstands bei.

 

Brautausstatter orientieren sich zwar an der Nachfrage der Kunden, geben aber durch das vorhandene Angebot gleichzeitig Richtlinien vor.

Wer als Braut lieber in einem Zweiteiler oder einem azurblauen Sissi-Traum vor den Altar treten möchte, muss meist abseits der gängigen Brautläden nach einem passenden Outfit suchen und wird dann auch noch die ein oder andere hochgezogene Augenbraue seitens der Hochzeitsgesellschaft riskieren. Ein Umstand, der einige Bräute aus meinem persönlichen Bekanntenkreis dazu bewogen hat, sich doch für ein weißes Kleid zu entscheiden.

Viele Bräute denken aber vermutlich vor dem Kauf gar nicht groß über die Farbwahl nach. Oder zumindest ändert die Farbfrage nichts an der Vorfreude auf die Hochzeit. Ein Hochzeitskleid ist eben weiß, ob und warum ist dabei nebensächlich, solange man sich mit der Entscheidung wohl fühlt.

 

Im heutigen 21. Jahrhundert sollte ein rubinrotes oder schwarzes Hochzeitskleid eigentlich keinen kleinen Skandal mehr auslösen.

 

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